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Mein großer Schwarzer

Abschiedsbrief für meinen Seelenhund

Schwierig, dominant, stur - abgestempelt?

Über 15 Jahre waren wir zusammen. Mein erster Rüde. Ein damals süßer kleiner Labbi-Mix-Welpe, der mein Leben komplett auf den Kopf stellen sollte.

Du warst nicht zu bändigen. Zumindest dachte ich das damals. Im Freilauf warst du schnell nur ein kleiner schwarzer Punkt am Horizont. Ein leidenschaftlicher Jäger, der mich draußen komplett ausgeblendet hat. Da konnte ich rufen und winken so viel ich wollte – die Welt hatte einfach viel mehr zu bieten. Du warst freiheitsliebend aber trotzdem schmusig und anhänglich. Ein Hund, der klar kommunizierte. Leise und deswegen leider viel zu lange von mir unverstanden.

Trotz oder vielleicht wegen deines eigenwilligen Verhaltens wurdest du mein zweiter Seelenhund. Mit 15 ¾ Jahren musste ich dich nun gehen lassen. Ich hoffe, dass du das Leben bei mir und mit meiner Familie genossen hast. Ich bin dankbar, dass ich so viel durch dich lernen durfte.

Was ich heute Bedaure

Ich bedaure sehr, dass ich nicht von Anfang an verstanden habe, was für einen großartigen Hund ich mir ins Haus geholt hatte. Dein übersprudelndes Temperament, die ängstliche Neugier, die unbändige Lebensfreude.

Stattdessen sah ich vor allem die Herausforderungen. Dein "Problemverhalten".

Zwischendurch habe ich aufgegeben. Es gab so viele Methoden. So viele Meinungen. So viele vermeintliche Lösungen. Vieles davon habe ich ausprobiert, wenig hat mich dir nähergebracht.

  • Du wurdest mit Leckerlis belohnt – die du nicht wolltest.
  • Ketten hab ich geworfen, dich damit eingeschüchtert – du warst noch schneller weg als vorher.
  • Hab dich ignoriert, dich geblockt und noch manches mehr – schließlich hatten wir nicht nur draußen Probleme, drinnen hast du jetzt auch die Abfalleimer geleert und teilweise unaussprechliches, unverdauliches gefressen.

Wahrscheinlich empfandest du unser Zusammenleben auch als kleine Hölle?

Schließlich habe ich einen Hundesport ausgesucht, der dich auslasten sollte und deine Rennfreude befriedigt. Mir hat es Spaß gemacht. Und ja, du hast mitgemacht, wir waren von außen gesehen erfolgreich. Aber ich habe nicht gefragt, ob dir dieser Sport ebenfalls gefällt.

Am meisten schmerzt mich heute, dass ich auf Trainerinnen und Halbprofis gehört habe, die mir erzählten, wie "dominant" du seist. Ich habe dir daraufhin deine normalen hündischen Verhaltensweisen verboten, statt sie zu verstehen und sie ins Training bzw. Alltag zu integrieren.

Du hast dich z.B. gerne vor meine Beine gestellt und dich mit deinem ganzen Gewicht angelehnt. Hätte ich einen Schritt nach hinten getan, wärst du umgefallen. Nein! Das durfte nicht sein. Da würdest du mich einschränken, die Führung übernehmen. Welch ein Blödsinn!

Später - als ich dein Vertrauen wieder erlangt hatte - war das „Anlehnen“ eine wichtige Belohnung für dich.

Was ich damals gebraucht hätte

Ich hätte jemanden gebraucht, der mir hündische Verhaltensweisen erklärt. Von den kleinsten Gesten bis zum großen Ausdrucksverhalten. Jemanden, der mir deine Hundesprache übersetzt hätte. Damit ich endlich verstehen konnte, was du mir die ganze Zeit versuchst zu sagen.

Ich hätte Trainerinnen gebraucht, die nicht nur Symptome sehen und Gehorsamsübungen abarbeiten, sondern die Ursachen für dein vermeintlich problematisches Verhalten erkannt hätten.

Heute weiß ich: Dein Knurren, wenn sich eine fremde Person über dich gebeugt hat war keine Respektlosigkeit. Es war eine Warnung, die auch ignorante Menschen verstanden haben. Danke, dass du nicht sofort abgeschnappt und nie gebissen hast.

Vor allem aber hätte ich neue Wege im Training gebraucht.

Kein verwirrendes "Dominanzgeschwurbel", sondern verständliche, nachvollziehbare Trainingsschritte.

Nett und fair gegenüber Hund und Mensch gleichermaßen

Was ich heute anders machen würde

Heute würde ich deine Vorlieben annehmen. Deine Hobbys würden wir ins Training einbinden.

Dein Jagdverhalten wäre nicht mehr das Problem und schon gar nicht etwas, das es zu unterdrücken gilt. Es wäre ein wichtiger Baustein unserer gemeinsamen Arbeit. Dem aufspringenden Hasen nicht nachjagen – stattdessen Alternativen wie „Schau“, „Lauer“, „Jup“ usw. aufbauen. Für Alles, was dir am Jagen Spaß gemacht hat, hätten wir gemeinsam Ersatz gefunden.

Ich würde dich, den Hund, "fragen" und mitreden lassen. Deine Hunde-Entscheidungen im Rahmen dessen akzeptieren, was Sicherheit und Umwelt zulassen.

Dann wären wir halt rechts statt links eingebogen und hätten schnuppernd 100 m in einer Std zurückgelegt. Wahrscheinlich wärst du ausgelastet und zufrieden nach Hause gekommen, hättest nicht noch deine dollen 5 Minuten gehabt.

Ich würde dich nicht formen wollen, sondern dich dabei unterstützen, in unserer menschengeprägten Welt zurechtzukommen.

Als Partner, nicht als Befehlsempfänger.

Und vor allem: Ich würde den Alltag mit dir als meinem "schwierigen" Hund genießen. Statt ständig daran zu arbeiten, dich zu "reparieren".

Was ich wieder genauso machen würde

Trotz aller Fehler, die ich gemacht habe, bin ich froh über eine Sache:

Ich habe nie aufgehört, nach Lösungen zu suchen, um das Beste aus unserer gemeinsamen Zeit herauszuholen. Wir haben bzw. hatten nur ein Leben und das sollte einfach nur schön sein.

Ich würde nicht ruhen, bis mein Bauchgefühl sagt, dass DAS jetzt die passende Trainingsphilosophie für uns ist. Bedürfnisorientiert, belohnungsbasiert und kleinschrittig. Auch wenn es zunächst langsam erscheint, habe ich gelernt: Kleine Schritte führen schneller zum Ziel und der Hund macht begeistert mit.

Meine Botschaft an alle Hundehaltende

Falls du gerade mit einem Hund lebst, der in Schubladen wie "stur" oder "dominant" gesteckt wird.

Falls unerwünschtes Verhalten in eurem Leben so viel Platze einnimmt, dass die schönen Momente fast verschwinden: Gib nicht auf.

Dein Hund ist kein defektes Wesen. Er muss nicht repariert werden. Er ist dein Partner mit eigenen, völlig normalen hündischen Bedürfnissen. Bedürfnisse, die gesehen, verstanden und respektiert werden wollen. Es gibt einen Weg, der euch beiden gut gefallen kann.

Die Zeit mit meinem großen Schwarzen ist leider vorbei.

Er hat mir gezeigt, dass es nie zu spät für eine besondere Verbindung ist. Du hast noch alle Möglichkeiten vor dir.

Nutze sie!

Du erkennst deinen Hund in dieser Geschichte wieder? Du steckst gerade mittendrin und weißt nicht weiter? Schreibe mir und lass uns sprechen. Wir schauen gemeinsam, welcher Weg für dich und deinen Hund der richtige ist.